Mittwoch, 14. November 2007

Dir gewidmet, Sebastian,... Du weißt schon warum!

(Dogen Zenji, 1200-1253, brachte das Zen nach Japan.)


Der Geist, zumal wach und hoch konzentriert, befindet sich in Harmonie mit dem Universum.(für shikantaza und mushotoku des Za-Zen würde noch das Gegenteil fehlen, aber für unser Thema sei dies erst einmal genug!)
Beim Angriff sieht es zwar von außen so aus, als ob ich körperlich angreifen würde, aber der „eigentliche Angriff“ ist ein geistiger Vorgang der Bündelung von Energie.
Dabei muss man - ab dem Moment der gefällten Angriffsentscheidung – mit sich über einige elementare Dinge im Reinen sein:

- Ich werde angreifen, als gäbe es kein morgen.
- Es ist meine Verpflichtung – gemäß dem gemeinsamen Code – meinem Partner die Ausführung der Technik zu ermöglichen.
- Ich muss alle blockierenden und sperrenden Gedanken und Energien loslassen, und versuchen leer (ku) und vorbehaltlos zu sein.
- Ich darf meinen Partner weder blockieren, noch darf ich mich hingeben wie ein Opferlamm bzw. nicht willenlos kollabieren. Der Mittelweg ist der universelle Weg des Aiki. (Wenn warm, dann etwas kalt; wenn kalt, dann etwas warm,…nicht wahr Floh?! ;o) )
- Wenn ich angreife, dann begebe ich mich voll Vertrauen in die Obhut meines Partners. Das kann sich unter Umständen anfangs unangenehm anfühlen, denn bei einem vollkommen aufrichtigen, ehrlichen und ungebremsten Angriff komme ich an den Punkt ohne Wiederkehr (point of no return), an dem meine Energie und mein Angriffsimpuls so groß und zielgerichtet ist, dass ich ihn nicht mehr anhalten oder zurücknehmen kann. An diesem Punkt führt mein Partner die Form oder Technik aus.
- Mich der Obhut des Partners zu überlassen bedeutet im Grunde die Kontrolle über das eigene Leben für einige Augenblicke aufzugeben. Es bedeutet, dass der Partner für einen kurzen Moment über mein Leben und über meinen Tod bestimmen kann. Hier liegt die Analogie mit der Situation der sich für einen Kampf gegenüber stehenden Samurai nahe: wer von beiden nicht völlig leer, frei und überzeugt angreift, also mit Angst am Leben haftet, wird dem Untergang nicht entgehen können, denn der Gedanke an den möglichen eigenen Tod stellt ein Zögern dar. Dieses Zögern macht meinen Angriff unaufrichtig, da ich zweifle. Mein Angriff wird unbeständig, abgehackt und schwerfällig. Das Zögern macht meine Glieder hart und unflexibel. Es lässt mich erstarren in der Furcht vor meinem möglichen Tod.
Um also im Aikido – oder besser gesagt im Budo generell – aufrichtig handeln zu können, muss ich bereit sein über den eigenen Tod hinaus zu gehen.
Ich hebe mein Schwert, ich hebe meine Faust und der Sinn meines Angriffs ist im Grunde die Zerstörung meines Gegenübers. Um diesen Zweck zu erreichen muss ich bereit sein meinen eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Folgt man den Lehren des Zen, so muss ich in mein Grab hinabsteigen, um mein wahres ICH zu gewahren (vgl. Dogen 1200 n. Chr. In: Sawaki, Angkor 2000, Deshimaru, Theseus 1990, Kosen, Kösel 1999).

(Kodo Sawaki, 1880-1965, Zen-Meister des zwanzigsten Jahrhunderts in Japan. Lehrer von Taisen Deshimaru.)

Genau so muss der Aikidoka all seine Energie darauf verwenden aufrichtig zu handeln. Natürlich möchte niemand sterben, auch ein großer Meister möchte weiter leben! (Deshimaru 1982). Das man in diesem Zusammenhang denken könnte, ein Zen-Praktizierender oder ein Aikidoka muss sterben wollen um frei und unvoreingenommen handeln (angreifen) zu können ist ein Missverständnis, was mit der kausal verkettenden Ratio zu tun hat; tatsächlich handelt es sich aber um ein Gleichnis. Es ist das größte Koan (Erziehungsmittel außerhalb des Denkens) des Za-Zen und nicht mit dem Bewusstsein oder dem Intellekt zu erfassen. Es ist eine instinktive Einstellung und Überzeugung, die nicht aus dem Denken und Erwägen entspringt, sondern sprichwörtlich aus dem Bauch (tanden, hara).
Wenn ich also loslassen kann, wenn nichts mehr wirklich wichtig ist – und angesichts des Todes ist nichts mehr wirklich von Bedeutung (Deshimaru 1982) – dann kann ich gleichzeitig mit voller Energie angreifen und bin dabei aber völlig entspannt, denn mir kann nichts passieren, außer dass ich sterbe; was macht das schon? Aber wie soll die maximale Anspannung des Angriffs mit völliger körperlich-geistiger Entspannung vereinbar sein?
Nun, die Beantwortung dieser Frage setzt wohl die höchste Meisterschaft im Budo voraus. Ich kann nur von meiner Perspektive des ewigen Anfängers aus antworten: diese Form des perfekten Spannungsverhältnisses äußert sich vornehmlich in jenen seltenen Augenblicken, in denen man das Gefühl hat, eine Form oder Technik würde wie von allein fließen, ohne das eigenes Zutun notwendig wäre. Es handelt sich um jenen Moment, in dem man zum Beispiel als Uke (Angreifender) während der Technik von Nage (Verteidigender) in ein schwarzes Loch fällt, die Augen für einen Augenblick schließt, um, wenn man sie wieder öffnet festzustellen, dass man unbeschadet und schmerzfrei gefallen ist.

(Taisen Deshimaru, 1914-1982, brachte das Zen nach Europa, wirkte bis zu seinem Tod in Paris. War Lehrer der meisten heute aktiven Meister des Soto Zen in Europa.)

Während dieser so seltenen Momente verliert man das Gefühl für Zeit und Raum, es kommt einem vor, als sei alles nur noch ineinander fließende Energien, die zu einem großen Ganzen gehören. Jeder Versuch einer Verbalisierung ist nicht möglich, es bleibt nur ein Gefühl im Bauch und ein Lächeln im Gesicht zurück. Das Universum atmet mit mir ein und aus, ein neuer Tag, ein neues Training, wieder von vorn den Weg des Aiki gehen, jeden Tag meines Lebens und darüber hinaus.

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