Montag, 26. November 2007

Willkommen, ermutigt und entmutigt.


Wenn man wie ich in jedem Semester wieder vor den Erwatungen und Ansprüchen der neuen Generation von jungen, angehenden Aikidoka steht, dann würde man ihnen als erstes am liebsten per Hochgeschwindigkeitstranfer die wichtigsten Dinge vermitteln, damit sie so schnell und vollständig wie möglich über das Grundgerüst verfügen, um sich dem WEG des Aiki zu widmen, ohne andauernd irgendwelche Vorträge über sich ergehen lassen zu müssen.
Leider bleibt das nur eine Wunschvorstellung, denn angesichts der vielen verschiedenen Menschen und Charaktere, die auf unterschiedliche Art an das Aikido herangeführt werden wollen, bleibt einem nichts weiter übrig, als zu versuchen möglichst methodisch und häppchenweise die Grundlagen gemäß der eigenen Interpretation zu vermitteln.
Die sehr knapp bemessenen anderthalb Stunden in der Woche reichen im Grunde gerade mal aus, um die elementarsten Konzepte zu erläutern, sind aber für eine gebührende, geschweige denn vollständige Darstellung gänzlich ungeeignet. So bleibt nur der Verweis an die anderen Kurse und die Hoffnung, die neuen Schüler mögen in ihren Stundenplänen noch Freiräume und genügend Zeit finden, um wenigstens zwei Mal in der Woche zu üben; mehr wäre natürlich besser!
Den eigenen Anspruch und meine eigenen Trainingsgewohnheiten möchte ich nur am Rand erwähnen, sind sie doch nicht im Mindesten repräsentativ für ein Muss oder Soll:
Wenn möglich, trainiere ich jeden Tag in der Woche! Das ist natürlich nicht immer möglich, so dass sich mein Pensum bei ca. 4-5 Mal eingependelt hat, mal mehr, mal weniger. (Mein Lehrer, Günter Heck, hat mal auf meine Frage wie oft er denn vor seiner ersten Dangraduierung trainiert hätte geantwortet: „Na, rate mal!... Jeden Tag", lautete die inspirierende Antwort. Und er fügte hinzu „es gibt nicht mehr viele von uns, die eine Bestimmte Einstellung zur Disziplin und zum ernsthaften Training haben, das ändert sich zusehends. Früher, als Aikido in Deutschland noch neu war, war das anders. Wir waren eine eingeschworene Gruppe, jeder kannte jeden, und wir trainierten viel und an vielen verschiedenen Orten zusammen.")
– Nun wird der eine oder andere einwenden, dass man ja bei einem solchen Trainingsaufwand kein richtiges Privatleben mehr hat, sondern nur noch Aikido praktiziert. Die Antwort darauf klingt vielleicht etwas lapidar, aber: Was gibt es reicheres als ein Privatleben, das sich aus Aikido und Zen zusammensetzt? Aber ich kann euch beruhigen! Natürlich hat man noch ein Privatleben und Zeit für die oder den Liebsten. Das Leben strukturiert sich um den Weg herum, in einem ganz natürlichen Prozess. Die anderen Dinge passen sich den Trainingszeiten an, und was nicht passt wird passend gemacht.
(In Form eines Exkurses sei hier nur erwähnt, dass Vorgesetzte, die um das Studium des WEGES wissen, oft statt verärgert auf das neue Aikido-Zeitmanagement zu reagieren, eher verständnisvoll versuchen bei der Planung zu helfen wo es nur geht, damit man reibungslos zum Training kommen kann. Mir ist es auch schon passiert, dass ich versunken in einem Berg von Akten meinen Alarmhinweis überhörte, um plötzlich über die interne Telefonanlage einen Anruf von meinem Chef zu bekommen, in dem er mich auf die fortgeschrittene Stunde hinwies, und mich aufforderte alles stehen und liegen zu lassen, um nicht zu spät zum Training zu kommen.
Bei einer anderen Gelegenheit bereiteten Freunde einen Kinoabend vor. Man hatte sich auf acht Uhr geeinigt, aber einer der Freunde erinnerte die Gruppe bald daran, dass Henryk nicht vor einundzwanzig Uhr dreißig mit dem Training fertig ist, so dass man auf zweiundzwanzig Uhr umdisponierte, u.s.w. Die Dinge fügen sich, der WEG übernimmt die Ordnung.)

Kampfsport…?

Im Infotext der TU-Seiten steht: „Aikido, die jüngste japanische Budosportart, ist eine auf traditionelle Kampfkünste zurückgehende Art der Selbstverteidigung, die einem Angriff ohne eigene Aggression zu begegnen versucht. Die Kraft im Aikido, das Ki, wird weniger aus körperlicher Stärke als vielmehr aus geistiger Energie, einer entspannten Haltung und harmonischen Bewegungen abgeleitet. Sportliche Wettkämpfe mit dem Ziel eine Rangfolge der Leistung zu ermitteln, gibt es im Aikido nicht."

Mit diesem Worten wird den neuen Kommilitonen gleich eingangs leider kein allzu großer Dienst erwiesen, denn nicht nur bezeichnen sie das Aikido fälschlicherweise als Sport, sondern vermitteln auch noch den Eindruck, als gehöre Aikido in die Reihe der Budo(wett)kampfsportarten, wie zum Beispiel Judo, Ju-jutsu, Karate, Kendo oder ähnlichen.
Also gehört es leider zur Tagesordnung der Übungsleiter des Aikido an der TU, den Neulingen verständlich zu machen, dass Aikido zwar aus der Tradition des Budo, den japanischen Kampfkünsten, stammt, mit ihnen aber nur technische Grundelemente und Elemente der Philosophie gemein hat. Es ist dann nur schwer zu vermitteln und wahrscheinlich noch schwerer nachzuvollziehen, warum einige Budodisziplinen sich zu wettkampforientierten Kampfkünsten entwickelten und andere, wie z.B. das Aikido, diese Form nicht angenommen haben.
Für den Neuling, der mit einer vorgefassten Meinung ins Training kommt (Stichwort: Steven Seagal & Co.), oder aber auch den Wunsch verspürt einen Kampfsport oder Selbstverteidigung zu betreiben, mag der dann vermittelte Eindruck ernüchternd und entmutigend sein, denn die Erklärungen über diese "pazifistische Friedenskunst" (bewußte Redundanz) führen die Meinung, Aikido sei ein Kampfsport und eine Form der Selbstverteidigung, gänzlich ad absurdum.
Akido ist, wie der Name schon sagt ein WEG, japanisch „DO“, dessen Ursprünge in den Traditionen der japanischen Kampf- und Kriegskünste (bugei) liegen, dessen Intention aber – anders als bei den traditionellen Kampfkünsten - in der Form der Vermittlung und Konfliktlösung liegt. Diese historische Darstellungsform, die in das moderne Aikido mündet, schließt die Anwendung von körperlicher Gewalt zum Zwecke der Konfliktbewältigung im Falle des Aikido gänzlich aus. Stattdessen werden im Unterricht bestimmte philosophische Prinzipien vermittels sich wiederholender körperlicher Formen vermittelt, die sich im Aikido Techniken oder Übungen nennen. Im Gegensatz zum Judo z.B. ist es nicht das erklärte Ziel der Aikidotechnik den Partner (so heißt im Aikido der vermeintliche Gegner) zu überwinden oder zu besiegen, vielmehr wird durch fiktive aber möglichst realistische Bewegungen versucht, eine Interaktion der Energien beider Partner zu erreichen, durch die der Normalzustand der Dinge wieder hergestellt werden kann. Dabei dient eine energische Bewegung auf den verteidigenden Partner zu als imaginärer Angriff, dessen Energie vom die Technik ausführenden Partner aufgenommen, weitergeleitet und wenn nötig verstärkt wird, um durch kreisförmige, elliptische und spiralförmige Bewegungen, um eine zentrale Achse herum, die Auflösung der konfliktgenerierenden Energie zu erreichen, also den vermeintlichen Angriff ohne Gewalt zu neutralisieren. Am Ende einer Aikidotechnik ist die störende oder stressende Angriffsenergie verflogen und die normale Harmonie zwischen den Partnern wieder hergestellt. Keiner ist Sieger, keiner Besiegter!

Wenn man also nun versucht den Sinn und Zweck des Aiki-WEGES zu erklären, wird auf der Grundlage des bereits Gesagten deutlich, dass Aikido viel mit dem Verständnis des eigenen Seins, dem Verständnis des Gegenübers, aber auch mit der Fähigkeit zu tun hat, in einer bestimmten Situation, die auch Stress- oder Konfliktsituation sein kann, mit den auftretenden Energien umzugehen, um sie wieder in „normale“ Bahnen zu lenken.
Wer nun partout hinter all dem eine Form von Selbstverteidigung sehen will, soll sich durch das Gesagte insofern bestätigt sehen, als es erfahrungsgemäß tatsächlich so ist, dass sich nach sehr vielen Jahren der Übung des Weges eine solche Fähigkeit zur Selbstverteidigung einstellt. Dies ist allerdings eher auf die innere Reife und auf die gesammelten Erfahrungen aus der Übung der Konfliktlösung, als auf im Training erlernte, tödliche Verteidigungstechniken zurückzuführen.

Wenn mich also heute jemand fragen würde: “Kann ich mich mit Aikido irgendwann verteidigen?“, würde ich antworten: „Ja, klar kannst du das, aber dann hättest du den Sinn des Aikido nicht verstanden! Natürlich kann man sich mit einem Fausthieb verteidigen, aber löst das das zugrundeliegende Problem oder den Konflikt? - Aikido - richtig verstanden - lehrt nicht nur die Fähigkeit der Konfliktlösung, sondern es ermöglicht dem Übenden auch mehr über sich selbst zu erfahren und über die Möglichkeiten, die es gibt, um mit anderen Menschen harmonisch zu koexistieren. Es lehrt uns den WEG Konflikte noch vor ihrem Enstehen zu erkennen und - wenn irgend möglich - zu verhindern, damit die natürliche Hamonie des Lebens nicht gestört wird.
Alle Dinge im Universum streben nach Harmonie und Ruhe. Selbst nach einer Supernova (Explosion eines Sterns) dauert es zwar Äonen, aber dann ist wieder alles ruhig und harmonisch. Das Aikido ist der WEG zu dieser universellen Harmonie.

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